Arcania zeigt, dass auch Untertitel wichtig sind. Das Rollenspiel vom Entwickler Spellbound aus dem Jahr 2010 trug nämlich den Zweitnamen »Gothic 4« und war damit eine Fortsetzung der legendären RPG-Serie von Piranha Bytes. So viel vorweg: Arcania ist kein Gothic, geschweige denn ein gutes. Aber auch wenn wir den Untertitel einmal komplett ausklammern, reden wir hier trotzdem noch über ein geradezu schmerzhaft mittelmäßiges Spiel.
Hallelujah! Es gibt eine positive Änderung!
In Arcania übernehmen wir nicht mehr die Kontrolle über den allseits bekannten namenlosen Helden, sondern schlüpfen in die Rolle eines neuen Protagonisten. Dieser ist zwar genauso namenlos (und wird später auch zum Helden), fängt allerdings erstmal klein an – als Schafhirte. Sein Leben auf der Insel Feshyr ist zwar wenig spannend, aber durchaus nicht ohne Freude. Im Prolog gelingt es dem Protagonisten, erfolgreich um die Hand seiner Geliebten anzuhalten.
Das Glück währt jedoch nicht lange, denn eine Flotte von Kriegsschiffen greift Feshyr an und tötet seine Freundin. Der Übeltäter: König Rhobar III. – unser Held aus den Vorgängern, der von einer dunklen Macht besessen ist und sich nun auf einem Feldzug befindet, um die südlichen Inseln zu erobern. Zusammen mit seinem Freund Diego macht sich der neue namenlose Held auf, um Rache an den Mördern seiner Geliebten zu nehmen. Dazu bereist er die Insel Argaan, auf der der Großteil des Spiels stattfindet.

Die Insel Feshyr ist doch ganz idyllisch, oder? Das hindert die Flotte des Königs aber nicht daran, das Dorf niederzubrennen und alle Einwohner zu töten.
Generell nimmt die Geschichte einen höheren Stellenwert ein als noch in Gothic 3 (Wertung 7.5). Glücklicherweise erzählt Spellbound eine (vor allem am Anfang) recht brauchbare Geschichte, auch wenn sie für meinen Geschmack gegen Ende zu sehr in ein Götter-Dämonen-Wirrwarr zerfasert. Prinzipiell kann Arcania damit aber dennoch eine der größten Schwächen des Vorgängers zu korrigieren, wobei viele Dialoge aber immer noch zum Fremdschämen sind. Schade nur, dass es sich hierbei um die einzige wirkliche Verbesserung handelt.
Eingeschränkte Fortbewegungsmöglichkeiten
Oberflächlich hat Arcania: Gothic 4 noch ziemlich viel mit seinen Vorgängern gemein: Wie gewohnt steuern wir das Spiel aus der Third-Person-Sicht, unterhalten uns mit NPCs und kloppen Gegner um. So weit, so bekannt. Recht schnell fällt jedoch auf, dass der vierte Teil spielerisch weit von der ursprünglichen Trilogie abweicht. Dies fängt schon bei einer alltäglichen Beschäftigung in Open-World-Spielen an: der Fortbewegung. In Gothic 3 mussten wir erst die entsprechenden Teleportsteine zu wichtigen Örtlichkeiten finden, ansonsten waren lange Laufwege angesagt. In Arcania wiederum müssen wir vorgegebene Teleportkreise aktivieren. Leider bringt dies fast keinen Mehrwert mit sich, da das Schnellreisen ebenfalls eine Weile dauert und nur zu einem anderen Teleporter in der gleichen Region möglich ist. Damit kann ich Arcania also doch noch einen Preis überreichen: den »Award für das unnützeste Schnellreisesystem« .

Sobald man zwei Teleporter in derselben Gegend entdeckt hat, besteht eine Verbindung. Einen wirklich Mehrwert bringt das Schnellreisen aber nicht.
Doch halt: In der gleichen Region? Korrekt, denn der vierte Teil wirft die offenen Spielwelten der Vorgänger praktisch über Bord. Die Insel, auf der das Abenteuer stattfindet, ist in Sektoren unterteilt, zwischen denen immer Barrikaden existieren. Ein Beispiel: Im ersten Gebiet besetzen Räuber eine Brücke, über die man Zugang zum zweiten Areal erhält. Um die Ganoven zu vertreiben, muss man in der Hauptgeschichte voranschreiten.
Die Gebiete sind in der ersten Hälfte des Spiels übrigens noch deutlich weitläufiger als im zweiten Teil. Später haben wir es quasi nur noch mit Levelschläuchen zu tun. Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Ausreden, warum die nächste Region nicht direkt erreichbar ist. Dies führt nicht nur zu Frustration beim Spieler (»Warum kann ich eigentlich nicht über mickrigen Stein springen?!«), auch die Gegnertypen sind somit exakt auf das eigene Level abgestimmt. Das hört sich erstmal nicht schlecht an, war aber immer eine wichtige Facette von Gothic. Wer sich mit den viel zu starken Gegnern anlegen wollte, konnte das tun.
Das ist der höchste Schwierigkeitsgrad?!
Das wirkt sich natürlich auch massiv auf den Anspruch des Spiels aus. In Arcania gibt es insgesamt vier Schwierigkeitsgrade: die klassischen drei (leicht, mittel & schwer), aber auch den höchsten namens »Gothic«. Für diese Rezension habe ich eben jenen ausgewählt und muss ernüchternd berichten: Wer hier ein echtes Hardcore-Erlebnis erwartet hat, wird enttäuscht. Prinzipiell bleibt alles wie auf den niedrigeren Schwierigkeitsgraden, die Gegner verursachen lediglich etwas mehr Schaden und halten mehr aus. Im direkten Vergleich mit dem Vorgänger ist Arcania auf seiner höchsten Stufe in etwa so anspruchsvoll wie Gothic 3 auf seiner leichtesten. Das alleine zeigt schon, wie sehr Arcania auf eine Mainstream-Zielgruppe getrimmt wurde.

Gegner wie dieser Banditenanführer sollten eigentlich schwierig zu besiegen sein, mit der übermächtigen Ausweichrolle werden die meisten Kämpfe jedoch zum Kinderspiel.
Was zu dieser Anspruchslosigkeit geführt hat, ist ganz klar: Das Tempo in den Kämpfen wurde massiv überarbeitet, so schwingt der Held selbst schwere Zweihänder mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Die Gegner hingegen weisen kaum Unterschiede in ihrem Vorgehen auf und werden uns nur mit ihren schweren Angriffen gefährlich, denen wir tunlichst aus dem Weg gehen sollten. Glücklicherweise dürfen wir extrem mächtige Ausweichrollen durchführen, durch die wir für die Dauer der Rolle keinen Schaden von regulären Angriffen nehmen! Es ist somit kaum mehr ein Problem, aus einer brenzligen Situation zu entkommen oder sich Fernkämpfern zu nähern.
Von langweiligen Kämpfen und öden Skills
Wenn man gerade nicht ausweicht, hämmert man auf die Angriffstaste. Anfangs können wir zwar nur vier Schläge hintereinander ausführen und müssen dann eine kurze Pause einlegen. Später können wir jedoch einen Skill freischalten, der unendlich lange Schlagfolgen ermöglicht. Ab diesem Zeitpunkt wird Arcania: Gothic 4 zu einem reinen Klickfest. Vor allem der Kampf gegen einzelne Gegner ist eine Farce, da diese keinen Gegenangriff starten können, solange der Held auf sie eindrischt. Gruppen sind da schon etwas kniffliger, aber auch machbar. Ich will nicht sagen, dass ich nie gestorben bin, aber es hat sich auch nicht nach einem wahren höchsten Schwierigkeitsgrad angefühlt.
Das liegt unter anderem auch daran, dass viele Rüstungsteile über HP-Regeneration verfügen, wodurch Essen nur in Ausnahmesituationen überhaupt notwendig ist. All dies muss nicht notwendigerweise schlecht sein, aber Gothic-Fans wie meine Wenigkeit dürften auf solche Mechaniken allergisch reagieren. Wer hingegen ein Rollenspiel sucht, in dem man schnelle Erfolge feiert, ist hier durchaus richtig aufgehoben. Wie seltsam, dies über einen Gothic-Titel zu sagen!

Die Skills sind ebenso öde, wie das entsprechende Menü aussieht.
Wo wir eben schon bei den Skills waren: Auch hier wurden massive Einschnitte vorgenommen. Man levelt zwar immer noch im klassischen Sinn auf und erhält drei Punkte pro Stufenaufstieg. Fähigkeiten werden aber nun direkt in einem (erstaunlich schmucklosen) Menü verliehen – Lehrer und Goldkosten entfallen somit. Wirklich interessante Fähigkeiten bleibt uns das Spiel übrigens schuldig. Wir können aufgrund des klassenlosen Systems zwar selbst entscheiden, inwiefern wir Krieger, Fernkämpfer oder Magier sein wollen, aber in jedem Fall können wir nichts freischalten, was über das absolute Minimum hinausgeht. Zum Beispiel können wir die Fähigkeit erlangen, dass wir als Bogenschütze zoomen dürfen. Woooow, wie kreativ… nicht. Arcania: Gothic 4 hat den spielerischen Tiefgang eines Tümpels.
Licht und Schatten
Auch die Interaktionen mit der Welt wurden vereinfacht. Lagerfeuer, Betten und Bücherständer sind beispielsweise zur reinen Dekoration verkommen. Es gibt zwar noch ein Crafting-System, hier wird aber nur noch alles ohne große Umschweife im Inventar hergestellt. Aber im Hinblick auf die Spielwelt muss ich ein paar positive Dinge hervorheben. Ich bin froh, dass man auch in Arcania mit begrenzten Ressourcen auskommen muss. Sprich: Gegner, Pflanzen und Erze spawnen nicht nach. Ebenfalls finde ich gut, dass man viele Quests schon de facto lösen kann, bevor man sie überhaupt angenommen hat. Ihr kennt doch bestimmt diese Spiele, wo ihr irgendeinen Gegenstand sammeln sollt und dieser erst nach Annahme der Quest plötzlich in der Welt auftaucht. Arcania: Gothic 4 funktioniert zum Glück (meistens) nicht so.

Sammelgegenstände mögen ja schön und gut sein, aber die Fetchquests müllen extrem das Questlog zu.
Wie sieht’s denn umfangsmäßig aus? Um Arcania: Gothic 4 durchzuspielen, solltet ihr 15 bis 20 Stunden einplanen. Mit einer solchen Zeit befinden wir uns, was Rollenspiele angeht, schon im unteren Feld, aber der Umfang ist noch akzeptabel. Arcania bietet zwar eine Reihe von Nebenbeschäftigungen, allerdings sind diese in aller Regel sehr generisch (Sammel- sowie Umhau-Aufgaben). Ich habe in meinem Questlog vier (!) Aufgaben, für die ich jeweils 30 (!) Artefakte sammeln muss. Bei solchen Aktivitäten sage ich dann »Nein, danke« und spiele lieber ein tatsächlich gutes Spiel. Die nicht ganz so offene Spielwelt fällt übrigens recht groß aus – zum Teil größer, als gut für sie ist. So entstehen nämlich nervige Laufwege (sei verflucht, Teleport-System!) und Gebiete, in denen fast nichts nichts los ist.
Zweischneidige Präsentation
Arcania: Gothic 4 lag bei seinem Erscheinen im Jahr 2010 grafisch auf einem guten Niveau und sieht auch mehr als ein Jahrzehnt nach seiner Veröffentlichung immer noch passabel aus. Speziell die Landschaften in den Startgebieten wissen zu überzeugen, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwickler nicht dazu kamen, mehr als drei Charaktermodelle zu erstellen. Okay, das ist vielleicht ein wenig übertrieben – immerhin verfügen die wichtigsten Figuren über ein individuelles Aussehen –, spätestens bei den weniger relevanten NPCs kommt aber dann doch das Gefühl einer Klon-Armee auf. Lippensynchronität (bzw. die Abwesenheit eben jener) ist übrigens auch ein Problem. Schade drum, denn dadurch verliert Arcania einiges an Glaubwürdigkeit.

Bei Panoramen wie diesem hier geht mir als Fantasy-Fan das Herz auf.
Zu den besten Aspekten des Titels gehört zweifelsfrei sein Soundtrack, dem das Kunststück gelingt, die recht langweiligen Kämpfe noch halbwegs episch wirken zu lassen. Wird die musikalische Untermalung etwas gefühlvoller, ergänzt sie sich hervorragend mit den ansprechenden Landschaften, was zu einer intensiven Atmosphäre führt. Der Soundtrack mag nicht ganz so gut sein wie der aus Gothic 3, aber er ist dennoch ein klarer Pluspunkt. Weniger schön ist die Performance: In manchen Gebieten kommt es regelmäßig zu nervigen Framerate-Einbrüchen und auf den höchsten Einstellungen wirkt das Spiel oft nicht komplett flüssig, selbst mit moderner Hardware.
Fazit
Arcania ist kein Totalausfall. Der Soundtrack und die Landschaften gefallen mir beispielsweise. Gleichzeitig wirft das Spiel die klassischen Gothic-Tugenden fast komplett über Bord und kann auch abseits des großen Namens einfach nicht als gut bezeichnet werden. Arcania ist restriktiv, anspruchslos und es fehlt im an einer eigenen Identität.

Gespiele Version: – Plattform: DVD