Gothic 3 – Ein ungeschliffener Diamant | Kritik

Es ist wahrhaft erstaunlich, was für eine Sprengkraft Gothic 3 auch 16 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch besitzt. Der Abschluss der legendären Rollenspielserie vom Entwickler Piranha Bytes wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Die einen halten Gothic 3 für eine riesige Enttäuschung, die anderen für einen stark unterschätzten Titel, dem lediglich seine Technik dem Weg zum Klassiker im Weg steht. Ich gehöre zu letzterer Fraktion. Gothic 3 war eines meiner ersten Rollenspiele und gehört nach wie vor zu meinen persönlichen Lieblingen. In der folgenden Rezension will ich euch erklären, warum ich Gothic 3 trotz seiner offensichtlichen Schwächen für ein gutes Spiel halte.

Geschichte? Noch nie gehört!

Nachdm wir am Ende von Gothic 2 Khorinis verlassen und den Untoten Drachen noch deutlich toter gemacht haben, landen wir in Gothic 3 nun mit unserem Schiff auf dem Festland. »Wir«, das ist unsere Spielfigur, der Namenlose Held, und seine Mannschaft bestehend aus Gorn, Lester, Diego & Co. Schnell bemerken wir jedoch, dass sich die Orks auf dem Festland breitgemacht und das Königreich Myrtana erobert haben. Unsere Truppe erreicht das kleine Dorf Ardea, wo wir uns direkt mit der dortigen Ork-Besatzungsmacht anlegen. Ein paar Orkleichen später ist Ardea zwar befreit, aber die Gefährten zerstreuen sich in alle Himmelsrichtungen. Unserer Spielfigur wird nun aufgetragen, den Magier Xardas aufzuspüren, der die Runenmagie der Paladine zerstört und damit erheblich zum Sieg der Orks beigetragen hat.


König Rhobar II. hat sich mit Hilfe einer magischen Barriere in der Hauptstadt Vengard verbarrikadiert. Vor den Toren lagert eine Armee der Orks. Wie kommen wir da nur herein?

Im Grunde reden wir hier die Art von Geschichte, die auf einem Bierdeckel noch komfortabel Platz fände. Gothic 1 und 2 würde ich zwar auch nicht als erzählerische Meisterwerke bezeichnen – den ersten Teil noch eher als den zweiten –, aber dort entstand immerhin der Eindruck, dass die Entwickler eine spannende Geschichte erzählen wollten. Gothic 3 ist erzählerisch dermaßen simpel, dass man sich schon arg anstrengen müsste, um eine langweiligere Geschichte zu ersinnen. Wer Open-World-Spiele nur dann mag, wenn die Geschichte als roter Faden dient, ist hier definitiv fehl am Platz. Besonders enttäuschend ist die Endsequenz von Gothic 3, die das Spiel erzählerisch zwar einigermaßen befriedigend abschließt, aber derart billig gemacht ist, dass ich nur den Kopf schütteln konnte. Man spielt dieses Spiel nicht wegen seiner Geschichte, sondern wegen seiner Mechanik.

Die Gothic’sche Dreifaltigkeit

Bevor wir allerdings tief in die eigentlichen Spielsysteme einsteigen, möchte ich noch einige Dinge bezüglich der Spielwelt erklären. Gothic 3 ist zwar ein Open-World-Spiel, man kann es aber dennoch grundsätzlich in drei Gebiete einteilen. Wir starten in Myrtana, welches durch Wiesen, Wälder und hohe Berge besticht. Daraus entsteht eine wirklich wunderschöne mitteleuropäische Landschaft, in der ich mich jedes Mal wieder heimisch fühle. Nicht ganz so wunderschön ist allerdings der Umstand, dass die Orks alle Städte des Landes besetzt haben, während die königstreuen Rebellen in den Wäldern und Höhlen von Myrtana Zuflucht suchen. Wir können nun entscheiden, auf wessen Seite wir uns schlagen und dementsprechend die Städte zurückerobern oder die Rebellenlager auslöschen.


Die Wüste Varant hat ein Problem: Sie ist zu weitläufig. Myrtana und Nordmar sind deutlich verwinkelter und daher auch interessanter.

In der südlich gelegenen Wüste namens »Varant« herrschen hingegen die Assassinen, welche sich mit den Orks verbündet haben. Auch hier gibt es eine Fraktion von Untergrundkämpfern, die sich in diesem Fall allerdings »Nomaden« nennen. Wie auch in Myrtana können wir hier die Siedlungen erobern oder die Aufständischen ausräuschen. Der dritte Kontinent im Bunde ist Nordmar, welcher passenderweise nördlich von Myrtana liegt. Hierbei handelt es sich um ein karges, eisiges Land, das von hohen Bergen und tiefen Schluchten durchzogen ist. Die riesigen Orkhorden hier sind uns gegenüber sofort feindselig und auch die Monster sind nicht zu unterschätzen. Nordmar ist quasi die Endgame-Zone von Gothic 3.

Schwer, aber belohnend

Aber genug von der Geschichte und der Spielwelt – kommen wir nun zum eigentlichen Gameplay. Wie auch schon in den Vorgängern steuern wir den Namenlosen Helden aus der Third-Person-Perspektive, erkunden die Welt und hauen Gegnern volles Pfund aufs Maul. So weit, so Gothic. Auch in Sachen Schwierigkeitsgrad leibt der Abschluss der Trilogie den alten Serienteilen weitgehend treu. Wir starten mit schlechter Ausrüstung – einem Schwert und einem Bogen , haben nur wenig in den Taschen, Lebensregeneration gibt es nach wie vor keine und wer zu weit in unbekannte Gebiete vordringt, riskiert es, von einem viel zu starken Gegner auseinandergenommen zu werden. Der mittlere Schwierigkeitsgrad ist auch für erfahrene Rollenspieler noch eine Herausforderung und selbst auf »leicht« ist das Spiel kein Zuckerschlecken.

Genau das macht Gothic 3 für mich auch zu einer solch tollen Erfahrung: Hier wird uns nichts geschenkt. Jeglicher Fortschritt ist nicht nur hart erkämpft, sondern auch klar erkennbar: Wenn wir irgendwann mit besserer Ausrüstung zurückkommen, um das Monster, das uns vorher arge Probleme gemacht hat, spielend einfach zu vernichten, ist das extrem befriedigend. Dieses Gefühl können Spiele mit skalierenden Gegnern einfach nicht auslösen.


In Arenakämpfen sammeln wir nicht nur Ansehen, sondern können auch hervorragend das Kampfsystem üben.

Gothic 3 behält aber auch noch eine weitere sehr tolle Designentscheidung seiner Vorgänger bei: Nichts spawnt nach – keine Gegner, keine Pflanzen, gar nichts. Die Ressourcen in diesem Spiel sind begrenzt und wir müssen uns daher notwendigerweise spezialisieren. Jede Fähigkeit im Spiel freizuschalten, ist – soweit ich das überblicken kann – rechnerisch unmöglich. Das mag für Spieler, die ihren Helden gerne zur eierlegenden Wollmilchsau ausbauen, sehr schade sein. Gleichzeitig verleiht dieser Umstand den Entscheidungen, die wir treffen, auch viel mehr Gewicht. Am Ende von Gothic 3 hatte ich das Gefühl, die Spielwelt signifikant beeinflusst zu haben.

Materialmangel & karge Kämpfe

Apropos begrenzte Ressourcen: Gothic 3 spielt man am besten mit einer Strategie im Hinterkopf. Gegner droppen nämlich bestimmte Items nur, wenn wir über die entsprechenden Jagdfähigkeiten verfügen. Folglich sollten wir es etwa vermeiden, Tiere zu jagen, bis wir von einem Jäger die Fähigkeit erlernt haben, ihnen die Haut und Klauen abzunehmen. Neue Fähigkeiten schalten wir bei den entsprechenden Lehrern frei. Hierfür brauchen wir nicht nur Fähigkeitenpunkte, von denen wir pro Stufenaufstieg zehn Stück bekommen, sondern auch noch eine Menge Gold. Folglich sollten wir immer fleißig Beute sammeln, um stets genug Kleingeld im unserem unendlich großen Inventar zu haben.


Per Bogen schalten wir Feinde gefahrlos auf Distanz aus – wenn die zuweilen etwas fragwürdigen Hitboxen mitspielen.

Das Kampfsystem von Gothic 3 ist ein Gegenstand von häufiger Kritik. Ich halte es zwar auch nicht für großartig, aber es erfüllt seinen Zweck. Wir können auf der linken einen normalen Angriff ausführen, die rechte Maustaste hingegen lässt uns blitzschnell zustoßen, um gegnerische Attacken zu unterbrechen. Mit unserem Block stoppen wir die meisten gegnerischen Angriffe, manchmal müssen wir jedoch auch die Beine in die Hand nehmen, weil sich nicht alle Schläge blocken lassen. Dabei dürfen wir unsere Ausdauerleiste nie aus den Augen verlieren. Es gibt gegenüber den Vorgängern auch noch einige Verbesserungen: Gothic 3 ist nun endlich anständig für Maus und Tastatur optimiert. Auch das Aufschaltungs-System aus dem Vorgänger entfällt, wir können mit unserem Schwert nun mehrere Gegner gleichzeitig treffen und mit unserem Bogen komplett frei zielen. Innos sein Dank!

Nur noch eine Stunde

Wie auch die ersten beiden Teile setzt Gothic 3 auf ein klassenloses Charaktersystem. Wir beginnen das Spiel als Hybrid aus Nahkämpfer und Bogenschütze, dürfen uns im Verlauf von Gothic 3 allerdings flexibel entscheiden, wo wir unsere Prioritäten setzen. Wir können uns sogar zum Magier entwickeln, allerdings scheint mir hier die Einsteigshürde sehr hoch zu sein. Insgesamt bevorzuge ich einen Bogenschützen, der zur Not auch noch im Nahkampf austeilen kann. Der Vorteil des Bogenschützen ist, dass man das Gelände hervorragend ausnutzen kann. Die KI in Gothic 3 ist nämlich extrem dumm. Es gibt Stellen, die Feinde schlicht und ergreifend nicht erreichen können. Das nutzt ein geübter Bogenschütze natürlich aus, um seine Widersacher gefahrlos auf Distanz auszuschalten.

Doch auch ohne solche Stellen entpuppt sich der Bogen-Spielstil als der stärkste, da die Gegner nicht so schnell rennen können wie der Spieler, man kann also immer genug Abstand wahren. Das wirkt stellenweise ein wenig wie cheating und liest sich zugegebenermaßen auch nicht schön. Es ist für mich aber schon fast einer dieser Fälle von »It’s not a bug, it’s a feature«.


Die Dialoge von Gothic 3 sind zweckmäßig. Philosophische Diskussionen sollte man in einem anderen Spiel suchen.

Wir kloppen jedoch nicht nur Gegner um, sondern reden auch sehr viel mit der friedlichen Bevölkerung der Spielwelt. Die Dialoge sind qualitativ durchwachsen, was am sehr ruppigen Schreibstil der Piranha-Bytes-Autoren liegt. Dafür gefällt mir sehr gut, wie die Gespräche mit dem Questsystem verzahnt sind. Es gibt nämlich keine Questmarker oder Zusammenfassungen – alle wichtigen Details werden uns vom Auftraggeber mitgeteilt und der Dialog wird im Journal abgespeichert, was die Welt sehr glaubwürdig wirken lässt. Apropos Welt: Diese ist nicht nur wunderschön gestaltet, sondern auch noch voll mit NPCs, Höhlen, Schatzkisten etc. Es gibt überall etwas zu tun und es entsteht ein wunderbarer Spielfluss, gerade zu Anfang des Spiels. Gothic 3 ist einer dieser Titel, den ich problemlos vier, fünf Stunden am Stück spielen kann und das können nur wirklich besondere Spiele bei mir auslösen.

Dieser Soundtrack!

Kommen wir zum Abschluss zu einem der größten Sorgenkinder von Gothic 3: seiner Technik. Die Rohversion des Spiels, die man auf Steam kauft, ist nutzlos, da die Steuerung nicht funktioniert. Man kann zwar über die Betas in den Steam-Einstellungen den neuesten Community-Patch aktivieren, allerdings hat auch das bei mir nicht funktioniert. Folglich musste ich mir den 1,5 GB großen Fan-Patch manuell herunterladen, der nicht nur die Steuerung aktiviert, sondern auch eine Reihe anderer Verbesserung mit sich bringt. Ich verwende Fan-Patches und -Mods ja wirklich nur ungern für meine Rezensionen, aber hier ist es eben eine Notwendigkeit.


In der optionalen Egoperspektive können wir die wunderbaren Landschaften von Gothic 3 bewundern.

Die Grafik von Gothic 3 finde ich nach den Maßstäben des Jahres 2006 durchaus hübsch. Natürlich hat das Spiel einige offensichtliche optische Probleme. Bei manchen NPC-Modellen sind die Proportionen komplett falsch, die Gesprächsanimationen sind sehr repetitiv und die Weitsicht ist ein absoluter Witz. Auf nahe Distanz sind die meisten Modelle und Texturen jedoch vollkommen in Ordnung, zumal ich die Gestaltung der Spielwelt sehr, sehr ansprechend finde. Wirklich herausragend ist der Soundtrack des Spiels, der für mich zum besten gehört, was ich je in einem Videospiel erlebt habe. Weniger schön sind die zahlreichen Bugs und Ungereimtheiten: Wegfindungsprobleme, fehlende Kollisionsabfragen und Lags sind an der Tagesordnung. Für all diese Probleme ziehe ich insgesamt eine halbe Note von der Wertung ab.

Fazit

Gothic 3 hat einige klare Macken, darunter die fast nicht existente Hauptgeschichte und der trotz Community-Patch suboptimale technische Zustand. In Sachen Soundtrack, Atmosphäre und Landschaftsgestaltung gehört der dritte Teil der Reihe jedoch zum besten, was ich je in einem RPG erlebt habe. Ist Gothic 3 objektiv gut? Vermutlich nicht, aber dennoch gehört es zu meinen Lieblingsspielen.

Anmerkung: Abwertung um halbe Note wegen schlechtem technischen Zustand.

Gespielte Version: 1.75.14 – Plattform: Steam

4 thoughts on “Gothic 3 – Ein ungeschliffener Diamant | Kritik

  1. Das Gothic 3 schon 16 Jahre alt ist, und von sämtlichen Spielezritschriften durchgekaut wurde, wisst ihr aber?

  2. Das wird für Jagdfertigkeiten oder andere Skills zahlen müssen ist nicht neu in der Reihe.
    Bereits in G1 hat Tiere häuten Lernpunkte und 50 Erz (oder waren es 100?) gekostet.

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