Verehrte Leser, es ist Zeit – Zeit, ein Versäumnis nachzuholen! Gothic 3 (Wertung: 7.5) gehört zu meinen ganz persönlichen Lieblingsspielen, allerdings hatte ich die ersten beiden Teile der legendären Rollenspielreihe von Piranha Bytes bis vor Kurzem noch nie gespielt. Um diese gewaltige Bildungslücke zu schließen, habe ich mich kopfüber ins Minental gestürzt. Dabei bin ich vor allem der Frage nachgegangen, ob Gothic auch heute noch das Meisterwerk ist, als das es unter RPG-Fans gehandelt wird. Die Antwort darauf: ein klares »Jein«.
Eine unerwartet gute Geschichte
Das Königreich der Menschen führt Krieg gegen die Orks – und für diesen Krieg braucht König Rhobar magisches Erz. Dieses bezieht er aus der sogenannten »Minenkolonie«. Dort werden alle Arten von Verbrechern hingeschickt, um nach Erz zu graben. Die Kolonie wird dabei von einer magischen Barriere umgeben, welche jegliche Ausbruchsversuche verhindert. Eines Tages starten die Gefangenen jedoch eine Revolution, töten die Soldaten des Königs in der Barriere und teilen sich in drei Gruppierungen auf: Das Alte Lager, das Neue Lager und das Sektenlager. Der König ist nun gezwungen, mit den Lagern zu verhandeln, um weiter an sein Erz zu kommen.

Saturas ist der Anführer des Neuen Lagers. Diese Fraktion will die Barriere mit Hilfe von magischem Erz sprengen.
Und in dieses Chaos wird nun unser namenloser Held hineingeworfen – wortwörtlich. Bevor wir von den königlichen Soldaten ins Tal geschubst werden, wird uns noch aufgetragen, eine Nachricht an die Magier im Alten Lager zu überbringen. Mit diesem Brief in der Tasche machen wir uns auf den Weg. Wie es sich für ein Rollenspiel gehört, bleibt es dabei aber natürlich nicht lange. Es entspinnt sich eine Handlung, in der wir uns mit einem fiesen Dämonen anlegen und zum Retter der Kolonie werden. Das kennt man vom Prinzip her schon aus einer ganzen Reihe anderer Fantasy-RPGs.
Ich war jedoch überrascht, wie solide die Handlung eigentlich ist. Wie in der Einleitung erwähnt, kannte ich von der Gothic-Trilogie bisher nur den dritten Teil, dessen Haupthandlung wirklich auf den sprichtwörtlichen Bierdeckel passte. In Gothic ist die Geschichte sogar in sechs Kapitel eingeteilt und liefert storytechnisch einfach deutlich, deutlich mehr Substanz. Das beginnt schon bei den Figuren, welche sich viel mehr wie echte Menschen mit eigenen Zielen verhalten. Auch der eine oder andere coole Plottwist hat sich eingeschlichen. Das habe ich bei Gothic 3 schon immer sehr vermisst. Eine tolle Haupthandlung sollte man zwar auch hier nicht erwarten, unterm Strich erachte ich die Geschichte von Gothic aber als Pluspunkt.
Der K(r)ampf mit der Steuerung
Bevor wir jedoch schlussendlich zum Weltenretter werden, fangen wir klein an. Und zwar wirklich sehr klein. Zu Beginn des Spiels ist unser Held extrem schwach und kann sich selten in Kämpfen behaupten. Daran trägt auch die Steurung von Gothic eine gewisse Mitschuld. Dazu müsst ihr wissen, dass das Spiel fast komplett über die Tastatur gesteuert wird. Mit der Maus können wir lediglich die Kamera schwenken, was man aber ebenso gut mit der Tastatur verrichten kann. Ignoriert eure Maus also am besten direkt und konzentriert euch auf die Tastatur.
Um Aktionen wie Angriffe oder das Öffnen von Truhen ausführen zu können, muss man zwei Tasten gleichzeitig betätigen, nämlich die Aktions-Taste und auch jene Taste für die Bewegung nach vorne (in der Regel also »W«). »In der Regel« sage ich deshalb, weil man die Steuerung in Gothic frei konfigurieren kann und dies auch dringend tun sollte. Ich habe die Bewegung auf WASD gelegt und die Aktions-Taste auf Strg, andere Spieler fänden unter Umständen die Cursortasten praktischer. Die Steuerung zu verändern, stellte sich für mich allerdings als gar nicht mal so einfach heraus. Das Spiel hat in den Menüs ein gewisses Eigenleben entwickelt und wollte partout nicht auf meine Eingaben reagieren. Bis ich eine Steuerung hatte, mit der ich einigermaßen leben konnte, war schon so mancher Tag in der Kolonie vergangen.

Orks sind starke Gegner, die mit uns anfangs noch den Boden aufwischen. Wer gegen die Biester bestehen will, sollte ihre Angriffsmuster verinnerlichen.
Die Tastatursteuerung hat gewisse Vorzüge. Wir können das Spiel prinzipiell mit nur einer Hand steuern und haben dementsprechend die andere Hand frei, um beispielsweise zu essen – sehr hilfreich bei längeren Spielesessions! Da hört es dann aber auch schon mit den Vorteilen auf. Selbst wenn man viel Zeit damit verbracht hat, die Steuerung zu lernen, würde ich sie höchtens unter »einigermaßen akzeptabel« verbuchen. Und ich habe durchaus einige Zeit mit dem Lernen der Steuerung verbracht. Tatsächlich habe ich sogar »Trockenübungen« mit meinem Helden ausgeführt, um die unterschiedlichen Schlagmuster zu erlernen. Es gibt in Gothic nämlich drei Angriffsrichtungen: nach vorne (Strg + W) oder seitlich (Strg + A oder D). Mit Strg + S blockt man. Wobei hier auch wieder gilt: So habe ich mir die Steuerung zurecht gelegt, möglicherweise gibt es für euch eine bessere Lösung.
Theoretisch ist das Kampfsystem sogar echt cool, da man einen bestimmten Rhythmus entwickeln muss, um möglichst effizient zu sein. Gegen einzelne Gegner funktioniert das auch durchaus gut. Haben wir es jedoch mit einer ganzen Gegnergruppe zu tun, zeigen sich die Limitationen der Steuerung. Wir können nämlich immer nur eine Aktion gleichzeitig ausführen. Wenn wir also beispielsweise gerade blocken, können wir uns nicht mehr gleichzeitig bewegen. Da ist es für die Feinde natürlich ein Leichtes, uns zu umkreisen und uns dann in den Rücken zu fallen. Das ist nicht nur extrem unrealistisch, sondern auch schlicht und ergreifend frustrierend.
Nur nicht verzweifeln!
Ich kann es nur immer wieder betonen: Die Einstiegshürde ist wirklich gewaltig. Nach mehreren Stunden ohne Erfolge hatte ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Gothic einfach abzubrechen und als »massiv überbewertet« abzustempeln. Wie froh ich bin, dass ich noch etwas durchgehalten habe! Wenn man nämlich einmal an dem Punkt ist, wo man sich an die Steuerung gewöhnt hat und man die Mechaniken versteht, wird Gothic noch richtig gut. Einer der größten Pluspunkte des Spiels ist seine enorm motivierende Progression. Da wir als Schwächling anfangen, ist es umso großartiger, wenn wir unsere hart erkämpften Fähigkeitenpunkte gegen Attributsaufstiege und neue Fähigkeiten eintauschen. Ich habe meine Figur zum Beispiel voll auf den Nahkampf ausgerichtet. Was für ein tolles Gefühl das war, als ich endlich Rache nehmen konnte an den Gegnern, die zu Beginn des Spiels noch Kleinholz aus mir gemacht haben!
Übrigens: Dass besagte Gegner anfangs noch Kleinholz aus mir gemacht haben, ist nur bedingt meinen spielerischen Fähigkeiten geschuldet. Es ist nämlich so, dass man einen gewissen Angriffswert besitzen muss, um bestimmten Gegnern überhaupt Schaden zufügen zu können. Normalerweise halte ich nichts von solchen Mechaniken. In Gothic fand ich dieses Feature letztendlich aber ganz in Ordnung, da es nun einmal auch ein fantastisches Gefühl des Fortschritts erzeugt.

Hier seht ihr meinen Helden gegen Ende des Spiels – ein recht typischer Nahkämpfer, der zur Not zum Bogen greift.
Eine andere Mechanik, die die Progression so großartig macht, sind die verschiedenen Lager, denen wir uns anschließen dürfen. In meinem Fall bin ich dem Alten Lager beigetreten. Hier wurde ich erst bei den »Schatten« aufgenommen, bin dann zum Gardisten aufgestiegen und so weiter. Jede dieser Beförderungen war nicht nur hart erarbeitet, sondern ich wurde auch reich dafür belohnt: Neue Rüstungen gibt es in Gothic nur sehr selten, doch hier bekommt man bei jedem neuen Rang bessere Ausrüstung. Hallelujah! Das bedeutet jedoch nicht, dass Gothic später einfach wird. Zwar hauen wir die Anfangsgegner irgendwann mit einem einzigen Schlag aus den Latschen, doch wirft uns das Spiel immer wieder neue Gegnertypen entgegen, die uns mindestens ebenbürtig sind. Gothicbietet uns nur einen Schwierigkeitsgrad an – und der ist zu jedem Zeitpunkt anspruchsvoll. Man wird besser. Oder man kapituliert.
Eine (meistens) tolle Spielwelt
Eine weitere Stärke von Gothic ist seine Spielwelt, jedenfalls in vielerlei Hinsicht. Die Minenkolonie kann in Sachen Größe nicht mit modernen Open-World-Titeln mithalten, allerdings ist dies beibeilbe nichts Schlechtes. Die Entwickler haben die Welt sehr gut mit Gegnern, Verstecken und Loot gefüllt. Dazu kommt noch, dass wir uns erst gegen Ende des Spiels teleportieren können (und selbst dann nur zu wenigen Orten). Folglich bewegen wir uns hauptsächlich per pedes durch die Welt. Wir kennen die Minenkolonie irgendwann in- und auswendig und trotz der etwas fragwürdigen Persönlichkeiten innerhalb der Barriere liegt uns diese Welt am Herzen.
An dieser Stelle muss ich jedoch auch etwas Kritik anbringen: Verglichen mit Myrtana aus Gothic 3 ist die Minenkolonie einfach deutlich weniger hübsch, wenn es um die Vegetation, die farbliche Gestaltung etc. geht. Das mag in Anbetracht des Settings realistisch sein, ist aber nicht übermäßig schön anzusehen. Auch der Soundtrack ist nicht so gut wie beim dritten Teil.
Präsentation, Bugs und nette Kleinigkeiten
Bleiben wir jedoch einmal bei der Grafik: Dass ein über 20 Jahre altes Spiel kantige Modelle, pixelige Texturen und hakelige Animationen hat, sollte niemanden überraschen. Allerdings sind die Menüs selbst nach den Maßstaben des Jahres 2001 enorm hässlich und schlecht konzipiert. Man denke nur an das Inventar, wo alle unsere Gegenstände in einer einzigen Spalte aufgelistet werden – ganz gruselig. Dazu kommen noch Grafikfehler in der Spielwelt, manchmal verschwindet etwa der Boden. Apropos Bugs: Auch die Gegner-KI hat mit gelegentlichen Totalaussetzern zu kämpfen, beispielsweise wollten mich die eigentlich aggressiven Minecrawler in der Mine partout nicht angreifen.
Ebenfalls unschön: Wenn uns ein NPC erspäht und uns ansprechen will, wird die Kameraperspektive gewechselt und uns jegliche Kontrolle über die Steuerung entzogen. Wenn besagter NPC auf dem Weg aber irgendwo stecken bleibt, weil die Wegfindung der KI furchtbar ist, können wir nichts mehr tun, außer den PC auszuschalten. Diese Fehler wiegen zwar nicht so schwer, dass ich eine Abwertung um eine halbe Note vornehmen wollen würde, aber erwähnenswert sind sie auf jeden Fall.

Im Neuen Lager ernten die Bauern Sumpfkraut. Hübscher als hier wird die Spielwelt allerdings auch nicht mehr.
Was Gothic grafisch fehlt, macht es an anderen Stellen mit viel Detailreichtum wieder wett. Mir hat zum Beispiel sehr gut gefallen hat, dass wir beim Verbessern unserer Fähigkeiten auch neue Animationen bekommen. Leveln wir den einhändigen Nahkampf auf, benutzt unser Held auch neue Attacken, die zudem noch schneller ablaufen. Ebenfalls sehr schön ist, dass Gothic alle bisher getroffenen Händler und Lehrer im Questlog vermerkt. Apropos Händler: In Gothic ist nicht Gold die Währung, sondern magisches Erz. Wobei das nur bedingt stimmt. Irgendwann schleppen wir so viel wertvollen Loot an, dass kein Händler der Welt mehr genug Erz hat, um uns auszubezahlen. Dann müssen wir anfangen, Items gegeneinander zu tauschen, was ziemlich primitiv anmutet und daher gut zum Setting passt.
Ebenso erwähnenswert wie die Dinge, die Gothic tut, sind die Dinge, die es eben nicht tut. Ich habe parallel Dragon Age: Inquisition gespielt, das extrem mit Features überladen ist (man denke nur an diesen furchtbaren Kartentisch). Gothic bietet hingegen eine sehr puristische Rollenspiel-Erfahrung ohne viel Schnickschnack und aufgesetzt wirkende Spielsysteme. Das alleine macht es mir schon sympathischer als so manch ein modernes RPG.
Fazit
Es ist hässlich. Es ist unzugänglich. Es steuert sich so elegant wie ein gestrandeter Öltanker. Und doch bereitet Gothic auch heute noch viel Spaß! Die Progression ist ungemein motivierend, spielerische Freiheit wird zur Genüge geboten und ebenfalls wichtig: Gothic wirkt lange nicht so überladen mit unnötigen Mechaniken wie viele moderne Genrevertreter.

Gespielte Version: 1.08k – Plattform: Steam